Mein erster Versuch, ein Manuskript zu erstellen, eine Geschichte zu erzählen. Ich habe mit einer Grundidee angefangen und die Geschichte und Charaktere haben sich von dort aus weiterentwickelt. Ich hatte kein Konzept bereit oder so, einfach nur eine Geschichte. Es war sehr spannend, zu erleben, wie das Ganze eine Eigendynamik entwickelte, das Schreiben an sich fiel mir ausserordentlich leicht. Und ich habe viel über ‘Bücher schreiben’ gelernt. Das untenstehende Resultat ist bestimmt keine anspruchsvolle Literatur….aber ich denke, spannend und kurzweilig ist es allemal. Wer den harten, ja gnadenosen Style von Thrillerautor Don Winslow mag, wird auch diese Story geniessen. Viel Spass beim Lesen…
RAGE
Ein Biker-thriller
von
Pete Wild
Errette meine Seele vom Schwert,
mein Leben von den Hunden!
22.Psalm 20
Tattoos tun weh! Jeder kennt jemand, der eins hat oder hat selber eins. Tattoos sind voll in Mode. Der Ruf von Tattoos hatte sich die letzten 30 Jahre um 180 Grad gedreht. Was früher ausschliesslich von Prostituierten, Knastvögeln, Seeleuten und Freaks zur Schau gestellt wurde, ist in der heutigen Gesellschaft kaum mehr wegzudenken. Die Vorurteile von früher sind vergessen. Vor 20 Jahren musste man lange Strecken bewältigen, um überhaupt einen Tätowierer zu finden, heute findet man in jeder Kleinstadt minimum 5 Studios, die sich gegenseitig die Kunden wegschnappen.
Tätowierer ist nicht gleich Tätowierer, sie lassen sich klassifizieren:
Fangen wir ganz unten an, beim Pfuscher. Der Pfuscher ist meist unfähig und arbeitsscheu, grundsätzlich eine faule Sau, er hat mit Kunst wenig bis gar nichts am Hut. Seine einzigste Motivation ist das schnelle, leichtverdiente Geld und er scheut sich kein Stück, den Stundenlohn eines Weltklassetätowierers zu verlangen. Der Kunde kriegt ein armseliges Gekritzel unter die Haut, die Proportionen lassen meist zu wünschen übrig, verwackelte Linien und freie Stellen in den Schattierungen sind die Regel. Ist dieses Tattoo verheilt kommt der Schock für den Kunden. Ein Pfusch von A-Z, schlecht gezeichnet, mies platziert, technisch unter aller Sau und alles auch noch unter total unhygienischen Bedingungen. Jahre später, wenn der Kunde die Scheisse auf seinem Arm einfach nicht mehr erträgt, werden diese Schandflecke meist überstochen oder weggelasert. Wobei Weglasern sündteuer ist und weit schmerzhafter wie das Tattoostechen selber. Also wird ein neues, deckendes Motiv über das alte gestochen.
Somit kommen wir zum nächsthöheren Level, dem Kunsthandwerker. Dieser Typus liefert meistens qualitativ zufriedenstellende Arbeit zu okay Preisen. Sein einzigstes Manko ist, er kann nicht freihandzeichnen und ist vollkommen auf seine riesige Sammlung von Schablonen angewiesen. Seine Kunden kriegen ein solides Tattoo, sollten sich aber bewusst sein, dass überall auf der Welt unzählige andere Tattoofreaks mit genaudemselben Tattoo rumrennen. Weil alle Tätowierer die gleichen Schablonen in ihren Musterordnern haben, die werden untereinander ausgetauscht, genauso wie die Jugend das mit Yugi-Oh-Karten oder Fussballerbildchen macht. Nix mit Unterstreichen der Einzigartigkeit, einem der drei Hauptzwecke (die andern zwei sind Erinnerung und Selbstdarstellung) eines Tattoos.
Dann kommt der Künstler. Er kann Schablonen benutzen oder freihandzeichnen oder aber er ändert die Schablone gemäss den Kundenwünschen ab. Seine Tattoos sind daher meist Einzelstücke, gutaussehend, stilsicher und einwandfrei gestochen, kaum Fehler, eindrucksvolle Arbeiten….wir sind bei den Kunstwerken angelangt.
Darüber stehen die Tattoo-Götter, Superstars wie der Schweizer Philipp Leu oder Shige aus Japan. Philipp Leu kommt aus einer Tätowierfamilie und hat sein Leben lang nie was anderes gemacht wie zeichnen und tätowieren. Sein Vater Felix Leu war schon zu Lebzeiten eine Legende, seine Mutter tätowierte, dito 2 seiner Schwestern. Fragt man egal wen in der Tattooszene, wer wohl der allerbeste Tätowierer der Welt sei, muss man meist nicht lange auf die einhellige Antwort warten: Philipp Leu ist der weltbeste und wohl auch gleichzeitig der schnellste Tätowierer der Welt. Shige, Japaner, wurde von der lebenden Tattoolegende Horiyoshi 3 aus Japan ausgebildet. Seine Tattoos sind perfekt gestochen und einzigartig im Stil.
Entschliesst man sich, den exorbitanten Preis dieser Superstars zu bezahlen, hat man meist eine Warteliste von 1-2 Jahren vor sich. Dann aber hat man ein einzigartiges Kunstwerk auf der Haut und sieht das garantiert nicht auf einem anderen Körper.
Ormoc City, Philippinen, 2008
Dieses Rücken-Tattoo oder Backpiece war ein so ein einzigartiges Kunstwerk, kaum unter 40 000 Dollar zu haben. Es stellte einen chinesischen Drachen in Farbe dar, Japanese style gemischt mit Shige, sehr speziell. Der Drache schlängelte sich vom Oberschenkel aus ihren schlanken Körper hoch bis zum Nacken, der Drachenkopf genau in der Mitte ihres Rückens war direkt dem Betrachter zugewandt. Das angedeutete Schachbrettmuster im Hintergrund passte harmonisch zum Motiv. Eine wunderschöne Arbeit auf einem wunderschönen Frauenkörper, absolut perfekt ausgeführt vom neuen japanischen Tattoo-Superstar Shige. Solch ein Shige-Tattoo auf einer schönen Frau war Sex pur.
Und das war vorliegend noch untertrieben. Samantha Padilla war eine echte Filippina-Schönheit. 1.60m klein, fast schon zierlich, magisch leuchtende, schräg-stehende schwarze Mandelaugen, umrahmt von langen, schwarzen Wimpern. Volle, sinnliche Lippen, süsse Stupsnase. Das pechschwarze, glatte lange Haar floss über die Schultern bis runter zu ihrem heissen Hintern. Ihr Körper war die Versuchung schlechthin, leicht atlethisch, gut trainiert, trotzdem weiche, sanfte Formen, straffe, volle Brüste, fester kleiner Arsch, wohlgeformte Beine und alles in einem hellen Bronzeton gehalten.
Sie wusste, wie man perfekt ging auf High Heels; einfach auf einer gedachten, geraden Linie laufen, dann schwingen die Hüften automatisch mit. Die Männer auf der Strasse drehten sich reihenweise nach ihr um. Viele Frauen sind einfach nur hübsch und/oder sexy, und das wars dann auch schon mit den Vorzügen…mehr ist da nicht und mehr findet man auch nicht. Nicht so Sam. Ihre Freunde beschrieben sie als herzliche, liebevolle Person und perfekte Mutter. Einzig, wenn man sie verärgerte, dann kam ganz schnell ihr Temperament zum Vorschein…ähnlich einem Vulkan… der Lärmpegel stieg und stieg und dann buuummmmmm….ging die Post ab. Und wer sogar die Frechheit besass, sie verarschen zu wollen, der nahm besser gleich seine Beine in die Hand, weil dann benutzte sie alles rundum als Wurfwaffe, und sie traf einfach zu gut. Naja, nobody is perfect und Samantha wollte auch nicht damit anfangen. Sie war auf den Philippinen in einer eher armen Grossfamilie aufgewachsen und hatte bereits früh in ihrem Leben gelernt, sich durchzusetzen und sich nichts gefallen zu lassen.
Was nun auf der Bahre der Gerichtsmedizin im Hospital Ormoc City lag, war beim besten Willen nicht mehr als Samantha Padilla zu erkennen. Ihr Gesicht war komplett zugeschwollen, blau- bis tiefschwarze Verfärbungen überall, die Augen glichen geplatzten Orangen. Geschwollen, blutig, die Augen ausgestochen. Das linke Jochbein war komplett zertrümmert, Nase gebrochen, mehrfacher Kieferbruch.
Deutliche Würgemale am Hals.
Vincent Palmer erbleichte, als der Gerichtsmediziner, ein gutmütiger, rundlicher Filippino mittleren Alters langsam das weisse Leintuch wegzog und ihr zerstörtes Gesicht entblösste.
Vor kaum 48 Stunden war die Welt für Vincent noch einigermassen in Ordnung gewesen. Er hatte eine gutgehende Werkstatt für Harley-Umbauten sowie eine boomende Bikerbar im Zentrum von Dallas, Texas. Dies war seine Existenz und zugleich auch der Scheidungsgrund. So sehr er Samantha und seine Tochter auch liebte, er konnte einfach nicht aus seiner Haut, einmal Biker, immer Biker. War er nicht in der Werkstatt, so fand man ihn in seiner Bar. Was mit ein Grund war, warum seine Bar so gut lief, weil Vince war der perfekte Entertainer, die Gäste liebten ihn. Allen voran die Frauen. Wo er echt selten war, war zuhause, dafür war einfach keine Zeit mehr. Jede andere Frau hätte wohl zumindest den Versuch gestartet, ihn zu ändern, ihn nach ihren Wünschen umzuformen. Wieviele Frauen auf der Welt machen genau diesen Fehler? Sie angeln sich einen beliebigen Mann, ändern den nach ihren Wünschen, nur um Jahre später herauszufinden, dass sie einen todlangweiligen, 08/15 9to5 Arbeiterklon kreiert haben. Und sich letztlich doch scheiden lassen.
Samantha hingegen war intelligent genug, dass sie erkannte, dass Vincent sie und ihre gemeinsame Tochter zwar abgöttisch liebte, dass er sich aber niemals ändern konnte. Vincent war Vincent, u get what u see. Und sie liebte ihn ja, genauso wie er war, er war nämlich ganz okay. Verglichen zu früher war er direkt zahm. Er hatte sich dem neuen Leben als Familienvater so gut angepasst, wie er halt konnte. War bei den Hells Angels ausgestiegen für die Familie, ein schwieriges Unterfangen. Aber nicht nur das, sogar die Vielweiberei hatte er für sie aufgegeben, kaum zu glauben, aber Vince lebte vollkommen legal und war ihr treu. Mehr ging einfach beim besten Willen nicht. Also trennten sie sich in Frieden, sie lebte mit ihrer Tochter wieder in Ormoc in einem eigenen kleinen, aber feinen Haus und Vincent kam einmal im Jahr für 4 Wochen in die Ferien. Der Unterhalt, den er monatlich zahlte, war mehr als genug für ein gutes Leben auf den Phils und Vince konnte es sich locker leisten. Alles paletti, soweit.
Bis eines Spätnachmittagss der Telefonanruf von Samanthas Schwester Nicole kam, dass seine Ex-Frau samt ihrer gemeinsamen Tochter Dianne einem schrecklichen Verbrechen zum Opfer gefallen seien. Für Details war keine Zeit, er hetzte aufs nächstbeste Flugzeug Richtung Philippinen. Nach über 16 Stunden Flug war er am frühen Morgen in Cebu gelandet, dann mit dem Supercat-Boot rüber nach Leyte, schnell im Villa-Hotel in der Nähe des Piers eingecheckt und hier war er nun, OSPA-Hospital Ormoc City, Untergeschoss Gerichtsmedizin.
Verglichen mit Cebu oder gar Manila war Ormoc eher ein verschlafenes Städtchen, nur eine kleine Polizeistation. Ohnehin war der gesamte Bezirk Leyte übersichtlich ländlich, nichts Aufregendes. Während in Cebu oder Manila tagtäglich Leute erschossen, zerstückelt, auf Nimmerwiedersehen entführt wurden, passierte in Ormoc herzlich wenig. Ab und zu ein Beziehungsmord, Auto- und Motorradunfälle (Asiaten und Strassenverkehr, das passt einfach nicht zusammen), ansonsten aber generell friedlich.
„Sie wurde vergewaltigt?“….fragt Vincent Palmer leise.
Der zuständige Arzt nickt betroffen.
„Ich will sie ganz sehen!“
„Nein, ich glaube nicht, dass Sie das wollen, Mr. Palmer….ich bitte Sie, ersparen Sie sich diesen Anblick….Es ist…aehm…..hässlich….Miss Padilla wurde gefoltert, müssen Sie wissen. Sie muss durch die Hölle gegangen sein.“
Es war dem Doktor sichtlich unangenehm. Dieser Fall ging ihm echt an die Nieren. Er wollte eigentlich heute Abend mit seiner Frau Matilda wieder mal schick essen gehen. Gestrichen. Nach dieser Leichenschau konnte er nicht einfach ein 4 Gänge-Menu runterfuttern, dazu ein kühles Red Horse Bier und so tun als ob alles top wäre, Smalltalk mit Matilda. Komplett gestrichen, undenkbar.
Er hatte tagtäglich mit Toten zu tun. Hat schon Schlimmeres gesehen, klar. Aber das waren Unfälle. Leute, die in ihren Autos verbrannten und mit den Sitzen verschmolzen…oder die vom Aufprall regelrecht zerfetzt wurden. Geköpfte Motorradfahrer und so weiter…
Samantha Padilla hatte aber keinen Unfall. Das war ein ganz anderes Kaliber. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Der falsche Mann fand sie unwiderstehlich sexy. Nur dass Sex für diesen Mann statt ein Akt der Schöpfung ein Akt der Zerstörung war, ein Schlachtfeld wo er sich austobte, bis alles in blutigen Fetzen lag. Und die 10 jährige Dianne, Samanthas und Vinces gemeinsame Tochter, war leider Zeugin dieser Schlacht gewesen, und Zeugen mussten immer sterben. Dies konnte unser gutmütiger Doktor mit kalter Logik noch gerade so nachvollziehen, aber warum mit Benzin übergiessen und abfackeln, warum all der Hass? Warum nicht einfach ein gnädiger Kopfschuss – ohne zu grillen – oder zumindest, bevor sie verbrannt wurde?
Welche Bestie tut nur sowas? Verdammtes Irrenhaus, genannt Welt und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Gerade jetzt hasste er seinen Job. Weil er es war, der es Vincent, wie auch immer, beizubringen hatte.
Vinces Kehle fühlte sich staubtrocken an, er schluckte leer. Was war nur passiert? Warum sie und warum so?
„Trotzdem….ich will sie ganz sehen!“, bestand Vincent mit fester Stimme auf seinem Recht.
„Wie Sie wollen…ich habe Sie gewarnt…aehm, Mr. Palmer, es tut mir so unendlich leid“…und zieht die Decke weg.
Vince war zwar einigermassen vorbereitet, er hatte schon viele Leichen gesehen. Aber sowas, auf so einen Anblick konnten man unmöglich vorbereitet sein….Mein Gott….
Ihr so perfekter Körper war zerstört, die Schönheit dahin….irgend jemand hatte sie nicht nur vergewaltigt und getötet, nein, er hatte gewütet….wollte sie nicht nur töten, sondern zerstören, komplett….Totalschaden.
Die Brüste waren übersät mit tiefen Schnittwunden, die Nippel waren entfernt…besser gesagt, ausgerissen…
Anhand der Verfärbungen unterhalb der Brüste schien jede einzelne Rippe gebrochen. Der Bauch war übersät mit Brandwunden. Jemand hatte sie als Aschenbecher missbraucht. Da wo die Vagina war, war bloss noch ein blutiger Klumpen Fleisch…
Vincent Palmer hatte schon so einiges erlebt in seinem wilden Leben. Bis jetzt dachte er immer, er sei ein ganz harter, eiskalter Hund. Auch andere dachten so über ihn. Nur dass der harte, kalte Hund nun ganz weiche, warme Tränen vergoss. Trauer, Wut, Ohnmacht, Zorn, Verzweiflung, Selbstkritik, Hass….all dies drehte sich schneller und schneller in seinem Kopf, wie ein Karussell….
Eine riesige, schwere, schwarze Wolke drückte auf Vince nieder….ihm wurde schwindlig. Der Doktor konnte ihn gerade noch abfangen, stützte ihn und geleitete ihn zu einem Stuhl in der Ecke dieses sonst so leeren und sterilen Raumes.
Vince vergrub sein Gesicht in den Händen, flüsterte leise: „Warum sie? Und warum so? So grausam…so unmenschlich…so zerstörerisch“. Dann schreckte er auf: „Wo ist meine Tochter? Wo ist Dianne?“
‚Scheisse‘ dachte der Doc. Genau diesen Moment hatte er am meisten gefürchtet. Er schluckte schwer und legte tröstend seine Hand auf Vinces Schulter, schaut ihm voller echtem Mitgefühl in die wässrigen, rot entzündeten Augen.
„Sie müssen jetzt stark sein, Mr. Palmer“ sagte er. Mr Palmer sah stark aus, keine Frage. Er machte mit seinen 52 Jahren einen durchtrainierten, zähen Eindruck. Gross, immer noch atlethisch, mit seinem blonden Bürstenschnitt glich er ein wenig einem US-Marine, stark war er auf jeden Fall. Breite, runde Schultern, muskulöse Arme und Hände. Trotzdem, wie zur Hölle sollte er diesem Mann sagen, was er sagen musste. Wieviel Leid kann ein einzelner Mensch wirklich ertragen, ohne zu zerbrechen? Wie stark muss man für so einen herben Schicksalsschlag sein?‚Scheissjob‘ dachte der Doktor..‘aber hilft ja nix‘.
„Ihre Tochter, Dianne Padilla liegt im Nebenraum. Ihr wurde genau zwischen die Augen geschossen und ihr Körper ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Leider wurde sie zuerst angezündet und erst dann mit einer Kugel von den Qualen erlöst. Es scheint fast, als ob der Täter sie erst leiden sehen wollte, es sich dann aber anders überlegte und sie …..aehm……erlöste. Zumindest wurde sie nicht vergewaltigt.“
„Mein Gott….was…wie…warum…ich verstehe nicht…Ich meine, sie war doch noch ein Kind“ stammelte Vincent verzweifelt. Er verlor immer mehr den Boden unter den Füssen. Das war defintiv zuviel für Vincent Palmer. Als ehemals hochrangiges Mitglied der Hells Angels Montreal mit seinen ansehnlich trainierten 100 Kg Masse brach er unter dieser Last zusammen wie ein filigraner Baum, dem von Mutter Natur vielzuviel Schnee auf einmal zugemutet wird. Wie in Schockstarre rutschte er in Zeitlupe vom Stuhl runter, das gutmütige Mondgesicht des Doktors verschwamm mehr und mehr vor seinen Augen. „Mr. Palmer…hören Sie mich…Mr. Palmer?“ Dann erlöste die Ohnmacht Vincent Palmer von seinen seelischen Qualen. Ja, auch ein harter Hund wird mal ohnmächtig, nämlich genau dann, wenn sein Körper auf Autopilot schaltet und das gesamte System einfach mal runter fährt, zum reinen Selbstschutz vor dem bevorstehend Absturz in den Wahnsinn.
Montreal, Canada, in den 90igern
„Du hast also tatsächlich den Nerv, für Rock Machine in unserer Stadt zu dealen, du verfluchter Motherfucker? Denkst Dir, das alles ist ein bekacktes Computergame oder wie? GTA3 auf Playstation? Echt? Du bist Vergangenheit, Dude….“
Noch bevor der Motherfucker antworten konnte, blutete er aus einem runden, ausgestanzten Loch zwischen den Augen, fiel mit weit aufgerissenen Augen auf den Boden wie ein nasser Sack. Vincent schraubte in aller Ruhe den Schalldämpfer von seiner Glock und verstaute das ‚Werkzeug‘ in der linken Satteltasche seiner Harley-Davidson. Jack ‚the Bull‘ Vance reichte ihm inzwischen eine Dose Bier. „Cheerio, Vince.Angels forever!“ „Yep, Cheerio, Bull, Cheerio Rockmachine-Arschloch, Angels forever…“ Vince war cool, nein, er war megacool.
Hektik war ohnehin nicht angebracht, warum auch, um 4.30 Uhr morgens dort am Pier war es komplett menschenleer, ein paar schwache Strassenlampen beleuchteten von fern knapp die Szenerie mit den beiden Bikern, die gerade an ihre Motorräder lehnten und gemütlich ein Bier schlürften. Weit und breit war kein Schwein zu sehen. Eigentlich direkt friedlich, 2 Biker genehmigen sich nach einer Partynacht einen Absacker, bevor sie heimwärts reiten. Würde da direkt vor ihnen im Halbdunkel nicht ein dicker, langhaariger Typ in seinem Blut liegen. Und hätten die beiden nicht ein Patch auf dem Rücken. Ein Totenkopf mit Helm und Flügel. 81…die 8 steht für den 8. Buchstaben im Alphabet, die 1 für den 1. HA….Hells Angels. Unter dem Totenkopf steht der Schriftzug Montreal. Das alles zeigte, dass es sich um Vollmitglieder handelte. Aber viel interessanter war der kleine, leicht zu übersehende Aufnäher auf ihrer rechten Brustseite. Filthy Few stand da. Diesen Aufnäher bekam man nicht für eine Kneipenschlägerei, no way. Für diesen Aufnäher musste man schon was Knallhartes für den Club durchgezogen haben, und das gleich mehrfach. Sprich, dieser Aufnäher bezeichnete die Killer in der Bruderschaft der Hells Angels, die ultimativen Aufräumer. Die wirklich gefährlichen Jungs, wo sie in Aktion traten, da staubte es gewaltig. Meist lagen danach ein paar Tote Motherfucker rum. Da sie ja keine Unschuldigen killten, sondern Verbrecher, Tiere wie sie selbst, hatte Vince keinerlei Gewissensbisse. Strictly business, nicht mehr. Auf der rechten, unteren Seite ihrer Ledergilets prangte der Name Nomads, im gleichen Schriftstil gehalten wie das ‚Hells Angels‘ und das ‚Montreal‘ auf dem Rücken. Dies bedeutete nichts anderes, als dass diese speziellen Jungs nicht wirklich sesshaft waren, keinem bestimmten Chapter angehörten. Weil es in deren Natur lag, dass sie ein bisschen…naja, schwierig im Umgang mit anderen waren. Nicht ganz so leicht auszukommen, auf gar keinen Fall pflegeleicht. Als einsame Wölfe waren sie generell zäher und härter wie der Rest der Gang. Einen Nomad konnte man überall auf der Welt antreffen, wo es HA gab und meistens machte er dann einen ‚knallharten‘ Job für ein anderes Chapter. Unterhalb des Filthy-Few-‚Ordens‘ kam der schwarzweisse 1Percenter-Aufnäher. Der steht für 1 Prozent der Biker, die ganz klar Outlaws sind. Die restlichen 99 Prozent sind einfach nur Wochenend-Rocker oder ganz stinknormale Motorradfahrer, seit kurzem auch nicht wenige Juppies auf ihren sündteuren, aufgemotzten Träumen aus Chrom.
Von diesen Rest-Neunundneunzig-Prozent sind jedoch weltweit gut 50 000 Biker sogenannte Hang-arounds bei den Angels. Ja, auch die Hells Angels haben ihren Fan-club und das ganz ohne Facebook oder Twitter. Weil es halt als äusserst cool gilt, mit den 81ern abzuhängen. Das gehört für den einen oder anderen Wochenend-Rocker einfach dazu. Ein Bier mit einem gestandenen HA schlürfen und dann mit sich selbst zufrieden nach Hause fahren(schliesslich verkehren die Angels nur mit harten Jungs, ergo muss er selber ja auch ein harter Junge sein…fast ein Angel..*träum*) und nach 5 Minuten vor der Glotze einschlafen, er muss ja wieder früh raus zur Arbeit….während der besagte Angel fleissig wie ein Bienchen erst noch eine Bar der Konkurrenz abfackelt, nachdem er den Türsteher kurzerhand erschossen hat, dann noch die 2 Stripperinnen von der NEON-Tablebar im Klubhaus durchfickt, sich gut 5 Gramm Koks durch die Nase gezogen bis zum Morgen. Tja, genau darum ist der eine ein Hangaround-Fanboy und niemals ein Angel und der andere ein echter Hells Angel und niemals was anderes.
Und egal, in welchem Land sich die Tochtergesellschaft der HA, das sogenannte Chapter befindet, Unschuldsengel sind sie auf gar keinen Fall. Auch wenn man immer wieder mal Interviews auf Youtube findet, wo ein HA breit grinsend zum hundertsten Mal erklärt, dass sie doch bloss ein Club von Motorradverrückten seien, überhaupt gar nicht kriminell, das war mal, heut doch nicht mehr..blabla…
Trotz der weihnachtlichen Charity-runs, die sie für behinderte Kinder veranstalten…vergesst es, Leute. Hells Angels sind kriminell, und punkt. Mal mehr mal weniger…klar, die Hells Angels in der Schweiz knallen – noch – niemanden ab, warum auch, das wäre totaler Overkill in diesem friedlichen Land, wo sie absolut keine Konkurrenz haben. Da findet man denn auch keinen FilthyFew-Aufnäher auf den Westen. Nomad täte genausowenig Sinn machen in einem Land wo man mit dem Bike in einem Vormittag locker mal von Grenze zu Grenze quer durchfährt. Trotzdem machen auch sie ihre halb-legalen bis illegalen Geschäfte, aber halt mehr im Stillen wie anderswo.
Da ist das Montreal-Chapter eher auf der anderen Seite des Spektrums, vor allem seit sie sich mit der Konkurrenz, dem Motorradclub der „RockMachine“ angelegt hatten. Seither findet die Polizei eigentlich täglich mehrere tote Biker, mal von RockMachine, mal von den Angels.
Vincent war das ganz recht so. Er liebte die Action und Knarren. Und er mochte keine ‚Bandidos‘, keine ‚Ghostriders‘…aber so richtig hasste er ‚RockMachine‘, diese besserwisserischen Wichser. Hells Angels sein, das war für ihn Lifestyle, das Leben. Hells Angels, das ist nicht irgendeine Gang, HA ist eine Bruderschaft. Und Vince war einer der Superstars im Montreal der 90iger. Gerade 34 Jahre alt geworden, 1,90m gross, 105 Kg, muskulös inkl. Six-pack, einfach verboten gutaussehend, blonde lange Haare, 3 Tagesbart, ein perfektes Tom Cruise-Lächeln, Augen wie Paul Walker…sein Gesicht irgendwo in der Mitte zwischen den beiden Stars…er war der Frauenschwarm schlechthin.
Sage und schreibe 10 superheisse Hasen schafften für Vince in und um Quebec auf der Strasse an, und jede einzelne von ihnen tat es sogar gerne für ihn. Alle Ehemänner da draussen wissen nur zu gut, eine einzelne Frau zu handeln ist schon verdammt schwierig. Da sind die Launen, sie zicken rum, sind generell eifersüchig auf alle andere Frauen und von der Periode gar nicht zu reden. Ein Stall von 10 Divas zu hüten und einigermassen zufrieden zu halten, ist hingegen schon ein organisatorisches Grossprojekt.
Es gibt solche und solche Zuhälter.
Die einen fackeln nicht lange, machen die ‚Pferdchen‘ mit purer Gewalt und/oder Drogen gefügig. Denen ists scheissegal, ob ihre Frauen zufrieden sind…mucken sie auf, gibts eins oder zwei in die Fresse oder Härteres. Sie kriegen essen und trinken, ne Matratze und Kleider für den Job. Und Drogen, damit sie bei Laune bleiben. Und das wars denn auch schon, mehr ist nicht. Und um alles, was sie ausser anschaffen tun wollen, müssen sie ihren ‚Boss‘ um Erlaubnis fragen. Sie will ihrer Mutter zum Geburtstag telefonisch gratulieren? Frag den Boss. Sie muss dringend zum Doktor, weil sie schon tagelang untenrum blutet, ganz ohne Periode? Frag den Boss. Moderne Sklaverei in ihrer brutalsten Form. Vince verachtete diese Leute, das waren abgefuckte Tiere.
Die anderen sind eher die Business-Pimps. Sie sagen sich, dass eine Frau, die gerne für sie arbeitet, viel, viel erfolgreicher ist, sie schafft ungleich mehr an. Damit sie diesen Job gerne macht, muss man sie wohl oder übel am Geldsegen beteiligen, muss man ihr nette Geschenke machen. Hier eine Goldkette, da ein teures Kleid, nach einem besonders erfolgreichen Monat vielleicht auch mal ein Kleinwagen ganz für sie alleine. Weil sie Selbstvertrauen hat und weil sie es freiwillig tut, kommt sie bei den Freiern auch richtig gut rüber. Mit solchen Girls war Party machen einfach nur der Hammer. Seien wir ehrlich, welcher Freier fickt schon gerne eine eingeschüchterte Prostituierte, die sich kaum traut, ihm in die Augen zu schauen und dazu noch aussieht wie der Sparringspartner von Mike Tyson. Das war schlecht fürs Geschäft, gegen den Wind gepisst, einfach nur dumm. Vincent ‚Beau‘ Palmer war alles andere als dumm. Und er war gut im Geschäft; jede Nutte empfand einen Wechsel in Vincents Stall als beruflichen Aufstieg in jeder Hinsicht. Eigentlich war es nie seine Idee gewesen, ins Nuttengeschäft einzusteigen. Nein, die Frauen boten es ihm an, überredeten ihn.
„Komm schon, Vince-baby, es lohnt für Dich, in jeder Hinsicht….du bist stark, machst was her, hast die beste Rückendeckung, die‘s hier in und um Montreal gibt…du bist der perfekte Aufpasser….sag schon ja.“
Als Vince über den Daumen gepeilt hatte, wie sehr es sich lohnte, waren die Zweifel ein für allemal ausgeräumt. Und tatsächlich war es easy money. Mit den Frauen rumflirten, das ging ohnehin unter ‚Hobby‘ für Vince.
Sein Clubbruder, Jack ‚the Bull‘ Vance war nicht gutaussehend. Ganz und gar nicht, auch nicht mit viel gutem Willen. Hässliche Zähne, verfilzter Bart, ungepflegte, fettige lange Mohawk-frisur, schwulstige Lippen, schmuddeliges T-Shirt…er hatte ein bisschen was von einem Zwerg aus Herr der Ringe. Mal ganz abgesehen von seinen stattlichen 2,08 m Körpergrösse bei fast 270 Kg Masse. Volltätowierte 58cm-Arme, Harleymotive und Totenschädel, mit Flammen ausgefüllt. Auf seinem Rücken prangte das Back-Patch seiner Weste, sauber eintätowiert, erstklassige Arbeit. Ausser dass unterhalb des Angel-Schädels statt Montreal halt Nomads stand. Auf seinem vollbehaarten Kugel-Bauch grinste einen ein schadenfreudiger Teufel an, beide Hände zu einem Doppel-Fuck-U erhoben. Dann schlängelte sich ein Drache über seine noch mehr behaarte Brust die rechte Seite seines muskulösen Halses rauf. Die noch freien Stellen waren mit passenden Tribal-schnörkeln bedeckt. Auf der linken Seite seines rasierten Schädels nochmal der Hells Angels Skull, in Farbe und umrundet von einem ‚Forever‘-Schriftzug. Auf der rechten Seite stand: Go ahead, make my day, direkt unterhalb einer abgesägten Schrotflinte mit Doppellauf. Jack hatte einen Hang für Goldschmuck…dicke Goldketten, klobige Totenkopf-ringe, das war sein Ding. Aus einer Juxwette heraus wurde alles Gold an Jack einmal gewogen, es waren total stattliche 1,12 Kg 18 karätiges Gold.
Der Junge war sowas von massiv, ein Fleischberg und unglaublich stark. Wenn man Jack kumpelhaft boxte, dann kam erstmal ne grosszügige Fettschicht zum Abfedern. Und gleich darauf dachte man, man boxt gegen eine Wand, knallharte Muskeln. Wegen seiner aussergewöhnlichen Dimensionen war Jack in jüngeren Jahren beim Wrestling gelandet. Erstaunlich, vieviel Kraft und vor allem Beweglichkeit er dort entwickeln konnte. Jack war überraschend schnell für seine Masse. Bei Ring of Honor war er für fast 2 Jahre der Topmainact. Kurz bevor er es in der Topliga, der WWE (damals WWF) ganz nach oben schaffte, zwang ihn sein heikles Temperament, das Wrestling endgültig an den Nagel zu hängen. Er war bereits für den Mainact in Wrestlemania eingeplant, hätte gegen Hulk Hogan antreten sollen. Weltweit x-millionen Zuschauer am TV, DER Moneymaker im Business! Er hätte eine sechsstellige Gage für den 30 Minuten-Auftritt erhalten! Leider kam gut 2 Monate vor der weltberühmten Wrestlemania-Show alles anders für Jack ‚The Bull‘ Vance:
Es war der Royal Rumble, ein anderer, weltweit auf TV gezeigter Mainevent der WWF. Jack war fix eingeplant, musste gegen den ‚Ultimate Warrior‘ in den Ring. Der Ultimate Warrior war damals fast genauso berühmt wie das Zugpferd der WWF, Hulk Hogan. Ein mit Steroiden zugeknallter Extrem-Bodybuilder, Muskeln pur. Leider glaubte der Junge sein Gimmick selber, er glaubte tatsächlich, sowas wie unbesiegbar zu sein. Genau wie der Charakter, den er im Ring darstellte, der Ultimate Warrior. Auch hatte er wohl nie mitbekommen, dass man im Wrestling die Moves nicht mit voller Kraft durchzog…man täuschte an, liess es 100 % echt erscheinen…mehr aber auch nicht. Das war schon tough genug. Sein Signature-Move war zwischen den Seilen durch den Ring hin- und herrennen wie ein durchgeknallter Crackhead und den Gegner mit ausgestrecktem Arm im Lauf umhauen…wieder und wieder. Der dumme Wichser wollte einfach nie begreifen, dass er dies nur antäuschen sollte, sein Ego war einfach viel zu gross für so eine Einsicht. So zog er diesen Move regelmässig gegen diverse Gegner durch in echt(ein sog. ‚shoot‘)…selbstredend verletzte er eine ganze Reihe seiner Mitstreiter….auch in echt. Was beschissen war, weil Wrestler hatten keine Unfallversicherung oder so. Meistens hatten sie aber Familie und brachten dann kein Geld nachhause, nur weil dieser Vollhorst sich nicht an die internen Regeln hielt und im Ring jedesmal Superman spielen musste. Jack wusste davon und es ging ihm gewaltig gegen den Strich, also besuchte er den Ultimate Warrior kurz vor dem Kampf in seiner Umkleidekabine.
„Hey Jim“, begrüsste Jack seinen Gegner mit dem richtigen Namen, er hiess in echt Jim Hellwig. „Wie Jim? Ich bin jetzt der Ultimate Warrior“, antwortete dieser vollkommen ernst, während er noch seine Gesichtsbemalung auftrug. Jack rollte mit den Augen.
„Jaaaa, ich weiss, genau darum bin ich hier, Jim. Du kennst den Ablauf, ich leg mich in Minute 12 für Dich hin (verliere für Dich) und lasse Dich bis dahin so richtig gut ausschauen da draussen, kein Ding. Also bitte, zieh mit mir nicht Deinen Shoot-style-scheiss durch, okay?“
„Warum nicht? Du siehst nicht so aus, als ob Du meine Power nicht verkraften könntest. Es soll echt aussehen und am echtesten ist immer noch echt selber. Also hau ich Dich weg.“
„Wie bitte? Was soll das heissen, Du haust mich weg? Du denkst also tatsächlich, dass Du gegen mich auch nur den Hauch einer Chance hättest, würde ich Shoot-wresteln?“, fragte Jack ungläubig.
„Ja klar, ich besiege doch jeden hier in der WWF, ich bin der nächste Champ. Ich bin einfach zu stark für Euch alle“, sagte Jim mit einer unfassbaren Arroganz.
„Ach du meine Fresse…..Oooookay, ich erklärs gaaaaaanz langsam, nur für Dich zum mitschreiben, Jimmy-boy. Du wirst es nicht mögen, Wahrheit tut weh, so ist das nunmal im Leben.
Aaalso, erstens: Der Champion-titel bei uns ist nur weitere Attraktion für die Zuschauer und ein Money-maker für Dich und die Company. Vince, unser Boss sagt, wer der Champ ist und wer nicht. Heisst, den Gürtel kannst Du Dir ins Klo hängen, der bedeutet nen Scheiss. Zweitens: Du bist gut 1,90 gross und wiegst knapp 140 Kilogramm. Deine Muckis kommen von Steroiden, ohne das Zeug würdest Du locker 30 Kg weniger bringen. Ich hingegen bin einen Kopf grösser wie Du und wiege derzeit das Doppelte von Dir. Keine Steroide! Ich drücke derzeit um die 280 Kilogramm auf der Bank und squatte mit fast 400 Kilo. Verstehst Du, was ich Dir damit sagen will?“
„Ja klar, aber was Du nicht verstehst, ich hab die Warrior-Power, ich sauge Kraft von zehntausenden von Fans da draussen, und drum besiege ich Dich locker…“
Der Typ war die Ignoranz in Person, so ein dummes Schwein aber auch. Und meist kam er mit dem Mist auch noch durch, weil er halt massenhaft Zuschauer in die Hallen spülte. Er verkaufte massenhaft Tickets und Merchandising. Nur darum ging es im Wrestling Entertainment und nur darum hielt Vincent McMahon, der Oberboss des Wrestling, seine schützende Hand über ihn. Was Jack langsam aber sicher sauer aufstiess. Er wurde laut:
„Hör mal, Du verfickte, total zugekokste Scheissdiva, ich sags nur noch einmal. Du hast schon diverse gute Jungs verletzt. Freunde von mir. Wenn Du da draussen Deinen Egotrip-Shoot-fuck mit mir durchziehst, dann hau ich Dich vor allen Leuten weg, mir scheissegal. Ich brech Dir alle Knochen, Du arrogantes Arschloch!!“
„Pah, dann bist Du Deinen Job los, Vince wird Dich feuern…das traust Du Dich nicht.“ „Wetten, dass doch? Ich hab Dich gewarnt, Du halbe Portion, also versuchs besser nicht“, meinte Jack knurrend und verliess kopfschüttelnd die Umkleidekabine und knallte die Türe zu, dass die Wände wackelten.
Zehn Minuten später stand Jack bereits im Ring. Er lehnte entspannt in seiner Ecke und die Eintrittsmusik des Ultimate Warriors schallte in der vollbesetzten Halle im Superdome Philadelphia, gut 100 000 Zuschauer flippten total aus. Die Fans liebten ihren unbesiegbaren Warrior. Der Warrior stürmte wie ein Irrer gen Ring, schüttelte die Seile wie ein Gorilla auf Crack und ging sofort auf Jack los, wollte ihn mit seiner Clothesline-serie plätten(der Wrestler rennt auf den Gegner zu und haut ihn mit ausgestrecktem Arm und viel Wucht um, wir hatten das schonmal…)…und wie immer zog er den Move voll durch. Bammm!!! Jack ächzte, ja doch, da war Power dahinter, ohne Frage. Aber Jack blieb stehen und der Warrior setzte schon zur zweiten Clothesline an, als ihn irgendwas am Kopf traf und die Lichter ausgingen. Später erzählten ihm die Erste Hilfe Jungs, was er zwangsläufig verpasst hatte. Als er wieder gegen Jack anrannte, hatte ihm Jack blitzschnell seine knallharte Rechte voll ans Kinn geballert, BINGO…doppelt gebrochener Kiefer und acht ausgeschlagene Zähne, vier davon hatte er doch tatsächlich verschluckt. Seine Rippen schimmerten von rot bis violett, sie schmerzten brutal, weil Jack nach dem Knockout auf ihm rumgehüpft ist, wie ein 6 jähriger in einer Hüpfburg. Acht andere, sehr starke Wrestler mussten von den Garderoben in den Ring stürmen und Jack von dem Warrior trennen. Das war echte Schwerstarbeit, die starken Jungs hatten ihre liebe Mühe, Jack war am Toben und schlug immer wieder auf den Warrior ein: „Ich kill Dich du schwule Drecksau…ich habs Dir gesagt, Du dummes Schwein…was denkst Du eigentlich, wer zur Hölle Du bist, Du beschissenes, verficktes Stück Scheisse…..“ In der TV-Uebertragung hörte man minutenlang nur noch bieep, bieep bieeeeeeep, biep biep…. von den ausgeblendeten Fluchwörtern. Die Fans drehten total am Rad, für sie war es eine Top-Show, perfekt gespielt. Der Warrior war immer noch ohnmächtig, als sie ihn auf einem Stretcher aus der Halle in den Krankenwagen verfrachteten. Für ihn war es das erste Mal, wo ein anderer mit ihm Shoot-Wrestling machte.
Tja, das hat dem Boss der WWF, Vincent Mc Mahon ganz und gar nicht gefallen. Vor allem, dass Jack so das Ultimate Warrior-Gimmick ins Wanken gebracht hatte, der Ultimate Warrior war nicht mehr unbesiegbar, ganz und gar nicht. So kams, dass Jack gefeuert wurde und an seiner Stelle King Kong Bundy gegen Hogan antreten durfte (und seine 6stellige Gage kassierte).
Habe ich schon erwähnt, dass Jack stark ist? So richtig stark. Eine durchschnittliche Harley seiner Klubbrüder wog um die 300 Kg. Während der ‚normale‘ Motorradfahrer seine liebe Mühe hatte, eine umgekippte Harley wieder aufzustellen, konnte Jack das Teil ohne grössere Anstrengung bis auf Brusthöhe hochheben und es dann sanft auf den Boden stellen. Bei all den unzähligen Schlägereien, die sie die letzten 10 Jahre zusammen erlebt hatten, und wo Vince manchmal für gut 2 Wochen nicht mehr der ‚Beau‘ war, Jack hatte nicht ein einziges Mal auf die Fresse bekommen. Weil das einfach nicht möglich war. Wo Jack stand, lagen die andern flach….das war einfach ein Naturgesetz. Einmal wollte ein besonders mutiger Türsteher ihn von hinten mit einem Baseballschläger stoppen, hat ihm das Teil mit voller Wucht auf den Rücken geknallt. Der Schläger zerbrach mit einem lauten Knall, Jack drehte sich wutentbrannt um, entriss dem verblüfften Typen den zerfetzten Stiel und steckte ihm das Teil mit den Zacken voran blitzschnell tief in den Rachen. In der Notfallstation mussten die Aerzte Schichten einlegen, ihn wieder einigermassen zusammenzuflicken. Wenn Jack so drauf war, war er einfach nur furchterregend, ein verfickter Wikinger im Blutrausch, eine Fleisch gewordene Streitaxt. Gut, dass er normalerweise eher gutmütig war, solange ihm keiner dumm kam. Oder viel schlimmer, seine Harley ‚schändete‘. Man sollte generell einen Bogen um Hells Angels Bikes machen….aber was man auf gar, gar keinen Fall tun sollte, ist, Jacks ‚Braut‘ anzutatschen oder sich sogar ohne Erlaubnis auf den Sattel seiner geliebten ‚Mighty Queen‘ zu setzen… das lohnt nicht…auch nicht – oder besser: schon gar nicht – für die Freundin für ein cooles Urlaubs-Foto. Weil so ein Ferien-Erinnerungs-Foto von einem Typen mit komplett eingetretener Fresse vor dem Bike am Boden in einer Blutlache rumkniend, mit hysterisch schreiender Freundin im Hintergrund einfach nicht gut kommt.
„Sollen wir den Scheisser entsorgen, Vince?“ Jack nickte gen Wasser.
“Nope, wir lassen diese Ratte samt seiner Rostgurke hier liegen, als Warnung für die anderen.“ Und schon knatterten die beiden davon, zurück ins Klubhaus, statt in den Sonnenaufgang.
Das Klubhaus der Hells Angels lag idealerweise am Rande des Industriegebiets. Ein Betonbunker und daneben zwei Hallen. In einer Halle wurden Bikes geschraubt, in der anderen Halle amerikanische Muscle-cars aufgemotzt und repariert. Im Bunker selber waren die Clubbar, der Sitzungsraum und ein Ueberwachungsraum voller Monitore, sowie ein paar spärlich möblierte Zimmer für die Jungs oder für eventuelle Gäste. Das Gelände war umzäunt mit einer zwei Meter hohen Betonmauer, obendrauf hübsch garniert mit rasiermesserscharfem Natodraht. Alle zehn Meter war eine rundum bewegliche Ueberwachungskamera montiert, tote Winkel hatten so keine Chance. Nicht rund um die Mauer und schon gar nicht im Gelände. Das Eingangstor war aus massivem Stahl und vor dem Tor war eine Reihe von 1 Meter hohen, noch massiveren Stahlpfeilern. Diese konnten von der Zentrale im Bunker aus automatisch aus dem Boden ausgefahren werden. Die stoppten zuverlässig jeden Truck.
Aus dem Hauptgebäude dröhnte John Fogertys unverwechselbar-rauchige Whiskystimme mit ‚Bad Moon rising‘, ein Welthit von Creedence Clearwater Revival, der Evergreen aller Biker. Die letzten Hangarounds schwankten gerade heimwärts an ihnen vorbei, als Vince und Jack sich an die Bar setzten.
„Hey Tully, statt hier an der Bar zu pennen, schmeiss besser mal paar Bier rüber, aber flott!“ Vince mochte Tully nicht wirklich leiden. Musste er auch nicht, weil Tully war erst ein ‚Prospect‘. Ein Prospect hatte gerade mal den nackten ‚Montreal‘-Schriftzug auf dem Rücken, kein Hells Angels, kein Totenkopf. Prospect zu sein war alles andere als lustig, weit entfernt vom Superstar-status seiner grossen Brüder. Ein Prospect hatte alles, wirklich alles zu tun, was ihm ein Vollmitglied befahl, ohne Ausnahme. Jegliche Putzjobs, Botengänge, Besorgungen, Prügel austeilen oder auch mal Prügel einstecken usw., die Liste war lang und zumeist erniedrigend. Ein Nein wurde nicht akzeptiert. Sagte der Prospect nein, war er gefeuert, das wars. Er konnte sich glücklich schätzen, wenn er zuvor nicht noch alle Zähne eingeschlagen bekam. Naja, eigentlich bekam jeder dieser ‚Looser‘ vorher die Zähne eingeschlagen…
So schützten sich die Motorradclubs weltweit vor eingeschleusten Undercover-cops, Informanten oder anderen Ratten. Diese Probezeit dauerte in den allermeisten Fällen mindestens 1-2 Jahre. Dies, nachdem er zuvor schon gut 2 Jahre ein Hangaround war. Hatte sich der Prospect bewährt und stimmten ausnahmslos alle Vollmitglieder für ihn, wurde er in die Bruderschaft aufgenommen und sein Dasein als Mädchen für alles war zuende, er war endlich voll anerkanntes Mitglied, ein Bruder. Genauso wurde er von da an auch behandelt, als gleichwertiger Bruder.
Deshalb gab es in den USA bis heute nur 2 Fälle, wo ein Undercover-cop sich erfolgreich in einen Bikerclub einschleusen konnte. Weil es 4-5 Jahre dauerte, bis der eingeschleuste Cop endlich an die wirklich wichtigen Informationen kam. Und beide Cops waren nach ihrem Einsatz kaum von einem Vollmitglied-Biker zu unterscheiden, da war nicht mehr viel Cop in ihnen übrig. Sie schnupften genausoviel Koks wie die echten Members, sie verprügelten Leute, sie dealten, hurten rum und waren im Waffengeschäft. Klar, wenn man ein paar Jahre so einen Lifestyle fährt, geht das in Fleisch und Blut über. Dann war ihr Job vorbei und diese armen Hunde bekamen von der Regierung gerade mal nen feuchten Händedruck, nen lächerlich tiefen Scheck und das wars. Wie zur Hölle sollten sie so mir nichts, Dir nichts wieder zurück in ein normales, todlangweiliges 08/15-Leben? Tja, das wiederum interessierte die Regierung nicht.
Die Hells Angels hingegen konnten bis zum heutigen Tag noch nie wirklich erfolgreich infiltriert werden. Ganz einfach darum, weil deren Lifestyle noch ein paar Zacken extremer war, wie der Rest der Outlaw-Biker. Vor allem, Mord gehörte einfach dazu. Ein Undercover-Cop kann vieles, aber ein Mord, nee das war nicht drin, unmöglich.
Eins wusste Vince mit Sicherheit, der hagere, rothaarige Tully war kein Cop, unmöglich. Der Arsch war schlicht zu dämlich dafür, megaloyal aber dumm wie ein Stück Brot. ‚Ne Flachzange‘, wie Vince stets witzelte.
„Genau, und wenn Du sowieso nur hier rumhängst, kannst Du mir genausogut noch einen blasen, Du nutzloses Stück Scheisse!“ ergänzte Jack schmunzelnd. Jack war Vinces Schatten und wen Vince nicht mochte, den mochte Jack erst recht nicht.
„Was los, Jungs? Ihr kommt hier rein und ….“
„Halt die Schnauze, Bitch“
„…und…und fickt mich grundlos an?“…
“Ja, weil Du ne Bitch bist, und Bitches sind ja wohl zum ficken da, oder?“
Jacks Blick verfinsterte sich. „Ooooder?“
Tully schluckte leer, wurde leicht blass um die Nase. Jack the Bull war der Einzige der Vollmitglieder, der Tully ne Heidenangst einjagte. Dieser Barbar war zu allem fähig, und das jederzeit, soviel war Tully längst klar.
„Komm schon, Jack, wir alle wissen, er is ne Flachzange, aber verschone ihn diesmal, wir brauchen ihn noch zum Saubermachen hier“ meinte Vince grinsend.
„Was anderes, Tully, ist Mom noch im Haus?“
„Ist oben, will aber nicht gestört werden“, grummelte Tully genervt in seinen mageren, leuchtend roten Ziegenbart und knallte die Bier auf den Tresen.
„Warte hier, Jack, ich geh mal hoch okay? Und hey, lass Tully in Ruhe…!”.
Oben, damit war der ganzgeschossige Clubraum gemeint, dort hatten die Vollmember ihre Sitzungen, abhörsicher versteht sich. Oben an der Treppe angekommen, war erstmal eine schallsichere Türe mit Codeschloss. Drinnen stand ein riesiger, ovaler Tisch aus massiver Eiche mit verschnörkelten Beinen, umrundet von bequem aussehenden, hochlehnigen Stühlen in schwarzem Leder. An einer Wand hingen gerahmte Portraits der Member, lebende und verschiedene. Der einzige Unterschied war, dass bei den gestorbenen Membern eine schwarze Schleife die rechte untere Ecke des Rahmens zierte. Die letzten Monate waren es immer mehr schwarze Schleifen geworden wegen dem Aerger mit Rockmachine. Auf der Seite war eine kleine Bar mit Kühlschrank und Bierzapfanlage angebracht, sodass kein Servicepersonal je hier hochkommen musste. An der gegenüberliegenden Wand war ein mannshoher Safe, gleich daneben standen zwei gute, alte Flipperautomaten, der eine war ein Elton John-Motiv, der andere, hatte das Thema ‚Dolly Parton‘. Scheissviel pink, maulte Jack jedesmal und spielte dann doch ein Match ‚auf Dolly‘ gegen wen immer sich traute. Dieser Raum wurde zweimal wöchentlich von einem Spezialisten auf Wanzen etc. durchleuchtet. Und verboten für jeden und jede ohne Vollmitgliedpatch, ohne Ausnahme.
Mom, das war der Nickname von Clubpräsident, Maurice ‚Mom‘ Boucher. Mom hatte sich mit Cleverness und Brutalität systematisch in der Szene hochgearbeitet. Erst gab es in Quebec zwei Hells Angels Chapter. Da war das Lavalle-Chapter. Die ältere Biker-Generation, sie waren kriminell, um ihren Lifestyle zu finanzieren; gegründet von Hells Angels direkt aus New York. Deren Fokus lag klar auf den Parties, feiern bis der Arzt kommt…den schickt man dann weg und feiert weiter. Das Problem war, damit die Parties auch rauschten, schnupfte das Lavalle-Chapter mehr vom eigenen Koks, als dass es verkaufte…weit mehr.
Dann war da das Sorell-Chapter, die jüngere Bikergeneration, vollkommen businessorientiert. Macht und Geld, das gab ihnen den Kick. Für sie war Hells Angel sein in erster Linie eine Garantie, einen Haufen Kohle zu machen. Eine Karriere. Bruderschaft war für sie sentimentaler Scheiss von gestern, heute ist Business angesagt. Die Sorells hatten das Party-getue der Lavalles mittlerweile gründlich satt, noch mehr aber waren die Jungs in New York angepisst. New York City, das war und ist die Zentrale der Angels. Dieses Chapter gibt die Richtung für alle an, sie sind die Bosse der Bosse, weltweit. Sie hatten zwei ihrer Jungs da hochgeschickt, damit die ein Chapter gründeten und das Nachtleben von Kanada an sich rissen. Stattdessen machten sie sich ein lustiges Leben, kackten auf die Befehle von New York und vor allem, VOR ALLEM: ….da kam einfach kein Geld rüber. Und das ging defintiv nicht!
Also luden die Sorells die Lavalles zu einem Treffen ins unbedeutende Lennoxville ein, auf Befehl des New York-Chapters hin….und erschossen sie kaltblütig. Sie erschossenen ihre eigenen Brüder! Das gab es in der Bikerwelt bis dahin noch nie, das war undenkbar. Aber es passierte. Und Kain erschlug Abel, wieder mal.
Die Message aus New York an alle war klar. Legt Euch nicht mit uns an oder Ihr seid tot. Alle wussten, wer sowas seinen eigenen Brüdern antat, wie ging er wohl dann erst mit seinen Feinden um? Sowas schaffte enorm Respekt in der Unterwelt.
Allerdings überlebte ein Mann der Lavalles das Massaker und sagte bei den Bullen aus. Daraufhin wurde über die Hälfte des Sorell-Chapters verhaftet, es entstand ein Vakuum in den Führungsrängen der Hells-Angels Montreal. Das war die Chance für Mom Boucher, der schon länger Gewehr bei Fuss stand. In Rekordzeit stieg er vom Anwärter zum Präsidenten auf. Einerseits war er cool, andernseits falsch wie eine Schlange. Und er war absolut rücksichtslos, machthungrig, beinahe schon grössenwahnsinnig. Mom hatte Ambitionen, soviel war sicher.
Als Mom ca. 1987 an die Macht kam, wars ganz schnell vorbei mit den freischaffenden Dealern in Montreal. Er machte über seine Vollstrecker unmissverständlich eines klar:
Entweder Ihr dealt für mich oder Ihr dealt gar nicht. Warnungen gibt es keine mehr, wer den Stoff nicht von uns bezieht ist ein toter Mann. Egal ob Schwarzer, Weisser, Latino oder vom verfickten Mars. Mit den Drogen kamen im Jahr gut eine Milliarde Dollar rein, locker genug für alle, aber Mom wollte alles für sich alleine haben. Warum teilen, wenn man alles an sich reissen kann?
Anfangs haben sich ein paar wenige gesträubt, aber irgendwie waren diese Jungs auf einmal nicht mehr da, weg, sie waren einfach spurlos verschwunden. Der Rest passte sich wohl oder übel an und verdealte den Stoff der Angels. Alle…..bis auf RockMachine, die pissten auf die Angels.
Moms zweite Amtshandlung war daher, dass er zum Krieg gegen die verhassten ‚RockMachine‘ aufrief, ja sogar Kopfgeld auf deren Member aussetzte. Aber nicht tot, oder lebendig, nein….ausschliesslich tot! Und er versuchte, die Kneipen und Bars, welche unter dem Schutz von RockMachine standen, zu übernehmen.
Es gab auch einen guten Grund, warum Mom so einen Hass auf RockMachine hatte. Der Grund hiess Salvatore Gazetta. Zusammen mit Gazetta hatte Mom Boucher in der Vergangenheit einen eigenen Bikerclub geführt, die SS. Sie waren Blutsbrüder, auch später, als es die SS längst nicht mehr gab.
Nach dem Lennoxville Massaker allerdings wurden sie Todfeinde. Gazetta lehnte es kategorisch ab, zu akzeptieren, dass die eigenen Clubbrüder einfach so exekutiert wurden. Und gründete den Bikerclub ‚Rock Machine‘. Einfach, um Mom den Stinkefinger zu zeigen. Mom hingegen fühlte sich von seinem Bruder hintergangen, alleingelassen.
Wenn eine Gang oder eine Bruderschaft derart extrem gewaltbereit ist, wie die Hells Angels, ist es eine Frage der Zeit, bis sie alle kriminellen Zweige in der Umgebung kontrollieren.
Mom selber machte sich selbstverständlich niemals die Hände schmutzig, dazu war er einfach zu schlau. Schliesslich hatte er eine ganze Organisation von Schlägern, Killern, Dealern und Zuhältern zur Verfügung und er war der Boss. So glich er mehr und mehr einem skrupellosen, mit allen Wassern gewaschenen Geschäftsmann denn einem Hells Angel. Ohne Kutte in einem Businessanzug wäre er locker als Anwalt durchgegangen.
„Ein RockMachine-Arschloch weniger, Mom.“ Vince machte es sich in einem bequem gepolsterten Sessel vor Moms imposanten Schreibtisch gemütlich.
„Ah, das nenn ich mal gute Nachrichten nach so einem beschissenen Tag…cool Vince-baby, gabs Probleme?….hier Deine Prämie“ Mom schob Vince 20 k rüber, gebündelte 100 Dollar-noten.
„Die Firma dankt und nope, kein Problem“.
„Uebrigens, melde Dich doch morgen mal bei Nurget, er hat was Dringendes für Dich“.
„Walter? Komm schon, Mom, was soll das? Du weisst ganz genau, dass Walter und ich nicht auf derselben Welle reiten. Der Typ geht mir einfach nur auf den Sack, Mom.“
Walter ‚Nurget‘ Stednick war klein an körperlicher Grösse. Was er aber an Intensität und Smartheit locker wettmachte. Er war extrem zielgerichtet, sein Traum war, die Hells Angels erst in Kanada, später weltweit zu expandieren. Bruderschaft, Biken, Party und Freiheit, die Hauptmotivation des dahingeschiedenen Lavalle-Chapters…das war vor 50 Jahren vielleicht mal cool, aber im Computerzeitalter zählt das nen Scheiss. Was zählt ist Geld und Macht. In seinen Augen war Hells Angels ein Markenname, ein weltumspannendes Imperium, das dringend ausgebaut und gefestigt werden sollte. Und Nurget war nur zu gerne bereit, der Ambassador für diese Expansion zu sein.
Nurgets Idee, wie er dies erreichte, war ebenso genial wie simpel. Er bot bereits existierenden Konkurrenzclubs (einfach fürs Protokoll: Jeder Club der nicht Hells Angels heisst, ist Konkurrenz. Punkt!) die Vollmitgliedschaft ganz ohne Probezeit, Prospekt etc. an….schliesst Euch uns an und tragt unser Patch, mit eurem eigenen Chapter. Tut Ihr es nicht, löst Ihr euren Club sofort auf und/oder Ihr sterbt. Die Rechnung ging auf, die meisten akzeptierten das Angebot, das sie ohnehin nicht ausschlagen konnten. Die wenigen Clubs, die ablehnten, waren von heute auf morgen Aussenseiter, mindestens die Hälfte ihrer Leute folgte dem Ruf der Angels. Von da an waren sie übelst unterbesetzt und standen auf der Abschussliste ihrer eigenen ehemaligen Brüder. Jaaaa, es funktionierte dermassen gut, dass seine Idee direkt von New York übernommen und 1:1 auf Europa übertragen wurde.
Während Maurice ‚Mom‘ Boucher der Präsident des Montreal Chapters war, hatte Walter ‚Nurget‘ Stednick den gesamten Norden Kanadas als National Präsident unter seinen Fittichen. Mom und Nurget, beides businessorientierte Haie kamen blendend miteinander aus, sie ergänzten einander perfekt.
„Ich versteh Dich echt nicht, Vince. Walter mag Dich sogar gut leiden, was ist denn Dein Scheissproblem, sag mal?“
„Und wenn er tausend mal National President ist, ich trau dem Scheisskerl einfach kein Stück. Würd mich null wundern, wenn er verdrahtet ist, der würde doch seine Mutter verkaufen für ein paar Dollar mehr in der Tasche.“
„Ja klar, und du würdest sie ihm abkaufen und dann anschaffen schicken, komm hör auf Vince, Du bist selber auch kein Kind von Traurigkeit. Okay, Nurget übertreibts manchmal mit dem Geschäftsmanngehabe, aber ne Ratte ist er deswegen noch lange nicht, also Vince….meld Dich erstmal morgen bei ihm und hör Dir einfach mal an, was er zu sagen hat, okay?“
„Wenns nicht anders geht, okay.“
Cebu City, Philippinen, 2008
Rodrigo Salazar war gerade letzten Monat 56 Jahre alt geworden. Ein kleiner, drahtiger Asiate mit wachem, berechnendem Blick. Er war einer der reichsten und einflussreichsten Männer von ganz Cebu. Das war schon eine Hausnummer, denn Cebu als Millionenstadt hatte schliesslich so einige stinkreiche Chinesen und Japaner zu bieten, welche ihr Geld in sündteure Wohnanlagen und Kondominiums inverstiert hatten. Was Rodrigos Reichtum nicht unerheblich vergrösserte, weil seine Firmen diese Träume aus Marmor und Glas in Realität gen Himmel wachsen liessen.
Rodrigo war mit knapp 16 Jahren vom Land nach Manila gekommen, mit nichts als einem Traum in seinen Taschen und Hoffnung im Herzen. Mit anfang neunzehn war er schon Jungunternehmer, machte seine ersten Millionen, indem er Drogentransporte im grossen Stil nach USA organisierte. Danach erweiterte er zusammen mit seinem älteren Bruder Manolo seine Geschäftstätigkeiten auf Menschenhandel. Wenn ohnehin containerweise geschmuggelt wurde, warum nicht noch ein paar Dutzend junge Asiatinnen für den US-Sexmarkt reinpacken? Die letzten 20 Jahre hatte er dann clevererweise vor allem damit verbracht, ihr Imperium zu legalisieren, während Manolo von Manila aus weiterhin den kriminellen Part managte und überwachte. Die illegalen Gelder wurden ausnahmslos in legale Geschäfte gepumpt und kamen rein gewaschen wieder zum Vorschein. Das gesamte Baugeschäft von Cebu war mittlerweile in Salazars gierigen Händen. Kein Hochhaus, das Sie in und um Cebu erblicken, das nicht von Salazars Firmen hochgezogen wurde, er prägte die Skyline von Cebu erheblich. Konkurrenz hatte er längst schon keine mehr, niemand war so lebensmüde, sich in Salazars Geschäfte einzumischen. Das lohnte einfach nicht.
Privat residierte er mit seiner Familie in den obersten zwei Stockwerken des rechten Marco Polo Towers in Cebu. Er hatte beide Stockwerke zu einer einzigen gigantischen Dachwohnung verbinden lassen. Luxus pur. Komplett elektronisch abgesichert. Diese beiden Stockwerke konnte man nur mittels Aufzug erreichen und der hatte einen eingebauten Retina- sowie einen Fingerprintscanner zur Absicherung. Allerneueste Technologie, diese Scanner checkten den Puls sowie die Durchblutung oder Details wie Sauerstoffgehalt im Blut usw. und konnten darum auch erkennen, ob jemand gerade Angst empfand oder nicht. War dies der Fall, wurde der Aufzug automatisch mit speziellen Kameras nach möglichen Bedrohungen durchsucht. Falls ein Fremder zusammen mit den Zugangsberechtigten im Aufzug war, oder sonst eine äusserst ungewöhnliche Situation eintrat, wurde ein Schlafgas eingesetzt und der Alarm ging los.
Diese Scanner waren auf Salazar selber, seine Frau Jolanda, sowie deren gemeinsame Tochter Juvelyn, 24 Jahre jung, geeicht. Und auf Mario. Mario war seit Salazars Anfängen sein persönlicher Bodyguard und Mann fürs Grobe. Er konnte Mario 120 prozentig vertrauen. Falls Mario jemals Scheisse baute, starb Marios gesamte Familie, welche in Manila lebte. Und Mario hatte, wie die meisten Filippinos eine recht grosse Familie. Selbstredend, dass Mario tunlichst darauf achtete, keine Scheisse zu bauen.
Das Stockwerk direkt unterhalb Salazar war ohne Scanner erreichbar. Da wartete ein gutes Dutzend top ausgebildeter Leute auf mutmassliche Eindringlinge. Söldner aus aller Herren Länder, nur die Allerbesten kamen in Salazars Team. Sogar ein Sprengstoffspezialist, der früher für die Al Quaida in Afghanistan täglich ein paar US-Marines in die Luft jagte, war dabei. Kugelsichere Westen, vollautomatische M14-Sturmgewehre, Pumpaction-Schrotflinten, ja sogar GTAM-Manhandles waren vorhanden. Das waren Ground To Air Missile-Launchers, also Raketenwerfer für Luftziele, welche von einem einzelnen Söldner geschultert bedient werden konnten. Computergesteuerte, vollautomatische Zielerfassung vom Feinsten. Sobald das Ziel vom Computer mittels eines Rahmens erfasst war, und dieser grün blinkte, konnte man abdrücken und dieses Ziel war garantiert Vergangenheit. Die Rakete folgte dem Ziel automatisch, egal wohin. Falls mal jemand auf die ganz blöde Idee kam, aus der Luft anzugreifen. Von diesem Appartement aus gab es einen versteckten Aufzug hoch zu Salazars Megawohnung, sodass die Söldner ihrem Herrn und Meister jederzeit seinen zwar kleinen, dafür aber umso wertvolleren Arsch retten konnten. Davon wusste niemand. Der Planer, als auch die Handwerker, die am Bau teilhatten, lagen alle seit Jahren bei den Fischen, ihre Familien bekamen eine grosszügige Abfindung.
Salazar telefonierte gerade mit seinem Bruder Manolo Salazar aus Manila. Es war eine unschöne, hitzige Unterhaltung:
„Was heisst denn, fahr mal runter?….Hör mal, Manolo, das war kein kleiner Scheissladendiebstahl, was Deine nutzlosen Söhne da in Leyte begangen haben. Diese Idioten haben eine Frau massakriert und deren Tochter abgefackelt und erschossen. Grundlos, Manolo…verdammt. Das ist doch VERFLUCHT NOCHMAL NICHT MEHR NORMAL, SOWAS….DIESE ARSCHLOECHER SIND KOMPLETT IRRE, AUSSER KONTROLLE.“ Salazar geriet in Fahrt.
„Ich weiss ja auch nicht mehr, was ich mit den beiden machen soll…je älter die zwei werden, desto mehr geraten sie ausser Kontrolle. Ich frage mich jeden verdammten Tag, warum zur Hölle ich von den Göttern dermassen bestraft werde, Rodrigo.“
Manolos Standardausrede, wenn seine ‚Jungs‘ mal wieder Scheisse gebaut hatten.
„Du weisst ganz genau, so eine Scheisse kann ich hier nicht gebrauchen, das zieht unerwünschte Aufmerksamkeit auf mich. Und dass die zwei so sind, das hast Du ganz alleine Dir selber zuzuschreiben. Dir und Deiner verblödeten Frau. Ihr konntet euren Kids die letzten 20 Jahre den goldenen Löffel ja nicht tief genug in den Arsch schieben, habt ihnen alles durchgehen lassen. Unsere Mutter, Gott hab sie selig, hat Dir auch dauernd gepredigt, dass diese Punks Grenzen brauchen…aber nein, früher haben sie Nannys und Lehrer zu Tode geärgert, alles geklaut was nicht angenagelt war, waren rotzfrech zu jedermann und heute killen sie Leute auf offener Strasse. Gut gemacht, Manolo, prächtige Kinder.“
„Ja weiss ich doch auch, Scheisse nochmal. Du hast ja recht, aber Du kennst auch ihre Mutter. Sie war es, die, statt die Jungs mal zu bestrafen, einfach jedesmal den Privatlehrer gefeuert hatte. Das fing schon ganz früh an. Erinnerst Du Dich noch an den Nanny-Verschleiss damals? Ich mein, 38 Nannies in 5 Jahren? Wurde ich je gefragt? Nein. Ich hab ohnhin nur die harmloseren ‚Scherze‘ erfahren, den ganzen beschissenen Rest hat sie mir verschwiegen. War echt einfach für sie, so wenig wie ich damals zuhause war. Zugegeben. Weil ich mit Dir, mein Brüderchen, am andern Ende der Welt am Geschäfte machen war. Und jetzt hab ich den Scheiss.
Uebrigens, haben die in Leyte schon ein Verfahren in die Wege geleitet? Ich hoffe nicht. Konntest Du Mondo überzeugen?“
„Ja doch, ich konnte die Wogen glätten, Navarro hält die Füsse still. NOCH!! Muss er ja auch, sonst ist er die längste Zeit Polizeipräsident gewesen. Darum gehts aber nicht, Manolo. Du hast dieses Pack zu mir geschickt, weil sie in Manila zuviel Dreck am Stecken hatten. Wir hatten vereinbart, dass sie hier ganz im Stillen abwarten. IM STILLEN, VERDAMMT NOCHMAL…..Stattdessen bauen sie täglich irgendeinen anderen Bockmist, lassen sich nichts von mir sagen, sind dauernd zugedröhnt, fallen überall auf wie bunte Hunde, so gehts einfach nicht weiter…Familie in Ehren, Manolo aber was zuviel, ist ist zuviel. Sprich endlich mal Tacheles mit den beiden, lass sie verschwinden oder was auch immer….schliesslich sinds Deine missratenen Söhne, nicht meine.“
Rodrigos Frau Jolanda hörte der Unterhaltung, welche auf Lautsprecher geschaltet war, mit schwindendem Interesse zu. Alle Filippinos waren Vollblut-Familienmenschen, so auch ihr Ehemann. Cousins und Cousinen waren fast so nahe wie die eigenen Geschwister; für die Familie riss man sich buchstäblich den Arsch auf. Family first war die Prämisse. Jolanda schlug da komplett aus der Art. Für sie war Familie je verwandter, desto verdammter. Es kostete sie schon enorme Mühe, ihrer eigenen Tochter ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Aufmerksamkeit beschränkte sich dann auf sündteure Shoppingtours durch die riesige SM-Mall in Cebu. Gefühle oder gar Liebe? Bah, überbewertet, das war einfach nicht drin. Was man nicht mit Geld kaufen konnte, war ihrer Ansicht nach der Mühe nicht wert.
„Lass sie verschwinden, ja klar….das hätte ich machen sollen, als sie noch in der Fruchtblase rumschwammen, habs verpasst weil ich Arsch da auch nicht zuhause war. Na okay, Rodrigo, ich bin noch ein paar Tage in Bangkok, sobald ich zurück bin spreche ich ein ernstes Wort mit ihnen, nächste Woche. Okay?“
„Wie nächste Woche?…Warum nicht gleich kommenden Herbst, wäre das den Herren eventuell genehm?….natürlich noch heute, ich will dass du sie sofort anrufst und ihnen den Tarif durchgibst…NICHT NAECHSTE WOCHE, NICHT MORGEN…..JETZT SOFORT, VERFICKT NOCHMAL; JETZT SOFORT!! Bevor die beiden Irren ganz Cebu in Schutt und Asche legen, ja?…..okay, gib mir Bescheid…grüss mir die Familie…bye“.
Rodrigo gab das Mobile an Mario weiter und marschierte zielstrebig gen Bar. Er goss sich einen megasündteuren DIAKA-Vodka ein und schüttete das diamantgefilterte Gesöff in einem Guss runter. In Anbetracht der Tatsache, dass eine einzige Flasche davon nicht unter 600 000 Euro zu haben war, spülte Rodrigo gerade einen neuen Mittelklassewagen die Kehle runter. Er war genervt.
„Reg Dich doch nicht auf, mein Schatz….bald sind die beiden wieder in Manila und wir haben wieder unsere Ruhe“.
Jolanda war es gewohnt, auf Rodrigos Blutdruck aufzupassen. Er regte sich einfach viel zuviel auf, der Aermste.
Jolanda Salazar wusste von den Geschäften ihres Mannes und seines Bruders in Manila. Sie konnte problemlos damit leben und regte sich prinzipiell niemals auf. Wer sich nerven lässt, ist in der Entscheidungsfindung empfindlich beeinträchtigt! Leicht gesagt, aber megaschwer umzusetzen. Nicht für Jolanda, sie war von Natur aus ein kühler, beherrschter Charakter. Böse Zugen meinten, dass sie darum nie schwimmen ging, das Wasser um sie herum würde zu Eis gefrieren. Schliesslich war sie es, die ihrem Göttergatten und seinem Bruder in Manila vor gut 30 Jahren die Heroin-connection in Bangkok zugespielt hatte. Damit hatte sie den Grundstein zu ihrem enormen Reichtum gelegt.
Ormoc City, Leyte, 2008
Als Vincent die Augen öffnete, sah er als erstes das besorgte Gesicht seiner Schwägerin Nicole, ihre schwarzen, zutiefst traurigen Augen. Und verwarf den kurzen Gedanken eines Alptraumes gleich wieder.
„Wo bin ich hier? Habe ich geschlafen? Was ist passiert?“
Vince setzte sich schwerfällig auf und stützte sich mit seinen Ellbogen auf seine Knie, er fühlte sich uralt, 200 Jahre minimum. Anscheinend war er mitsamt der Kleider eingeschlafen.
„Du bist im Spital zusammengeklappt, Vincent. Zwei Pfleger haben mir freundlicherweise geholfen, Dich hier in Dein Hotelzimmer zu verfrachten.“
Nicole reichte ihm einen nassen Lappen.
„Hier, nimm den, das hilft“.
Vince lehnte ab.
„Eine Zigarette hilft da mehr“.
Er zündet sich eine Camel Filter an.
„Nicole, erzähl mir genau, was los war? Wer hat Sam und Dianne das angetan? Was genau ist da passiert?“
„Ich weiss nur, was mir die Polizei erzählt hat, Vince.
Dass in Euer Haus eingebrochen wurde und dass kurz nach der Tat zwei Verdächtige in einer Bar nicht weit davon verhaftet wurden. Weil sie sich äusserst auffällig benahmen und auch damit rumprahlten, sie seinen Killer. Die hätten aber letztlich nichts mit dem Verbrechen zu tun gehabt, einfach nur zwei zugekokste Besoffene, die rumprahlten. Wurden wieder auf freien Fuss gesetzt. Ausser den beiden Besoffenen ist niemand gesehen worden.“
„Und wo waren Miguelito und Joman? Was haben die ausgesagt? Schliesslich bezahle ich nicht umsonst 2 Wachmänner rund um die Uhr.“
Nervös drückte er den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. Er ignorierte seinen Körpergeruch und wechselte einfach nur rasch das T-Shirt. Eine kurze Gesichtswäsche, das wars. Für Duschen war jetzt keine Zeit.
Die Philippinen gehören zu den Ländern, in denen man seinen Besitz und sein Leben schützen muss, so gut man eben kann. Wie alle Länder, wo die Armen über 85 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, brodelt ein nicht zu unterschätzender Interessenkonflikt. Die Armen wollen was von den Reichen abhaben, während die Reichen sich immer mehr auf ihren Hügeln und in Gated Communities einbunkern und mit einigem Hochmut auf die immer grösser werdenden Armenviertel runterschauen.
In ganz Asien werden die Armen ausgegrenzt, ignoriert. Soziales Denken ausserhalb der Familie ist den Asiaten generell fremd. Die Reichen bleiben unter sich, weg von den Armen. Wer arm war, war entweder selber schuld oder hatte eben Pech gehabt und musste so oder so selber schauen, wo er samt Familie blieb. Auch nur die minimalste Unterstützung vom Staat? Krankenvorsorge? Altersrente? Schulpflicht? Invalidenrenten? Gratisessen in Armenküchen? Minimale medizinische Grundversorgung?
Ja klar, träum weiter, Europäer in Deinen hochgefahrenen Sozialstaaten. Diese Missstände beeinflussen die Kriminalitätsrate direkt und gnadenlos, welche stets voll am Anschlag ist, knapp unterhalb vom totalen Chaos und Anarchie. Verzweifelte Leute tun verzweifelte Dinge, das ist nunmal Fakt.
Vince wusste das, daher ging er auf Nummer Sicher und bezahlte seit der Scheidung trotz Samanthas immer wiederkehrenden Einwänden die Wachen.
‚Wir sind hier doch auf dem Land, Vince-baby…hier ist alles friedlich, wir brauchen doch gar keine Wachen‘. Vince blieb stur, das liess ihn besser schlafen und punkt.
„Miguelito ist an dem Abend nicht erschienen und Joman sagte aus, es sei alles ruhig gewesen. Er habe auch die 2 Besoffenen nicht gesehen.“
„Was? Ausgerechnet an dem Abend ist Miguelito nicht da und Joman hört und sieht einfach mal gar nichts? Während keine 20 meter von ihm weg im Haus meine Frau verflucht nochmal zerfetzt wird, meine Tochter verbrannt und abgeknallt? Und Joman hört und sieht nichts? Willst Du mich verarschen?“
„Ich weiss, Vince, genau darum müssen wir jetzt auf die Polizeistation. Chief Navarro erwartet uns bereits.“
Fortsetzung folgt